Tatsächlich muss man jedoch im Plural „der chinesischen Küchen” sagen. Denn eine chinesische Küche gibt es sowenig wie eine italienische, nur dass China mehr als 30 Mal so groß ist wie Italien und mehr als 20 Mal soviele Einwohner hat. In Wahrheit sind Chinas Provinzen allesamt stattliche Länder mit unverwechselbarer Kultur und Eigenart.
Als die köstlichste aller Provinzküchen gilt jene von Guangdong, die nach der Haupt- und alten Kaiserstadt Guangzhou (Kanton) auch kantonesische Küche genannt wird und für ihre Meeresfrüchte ebenso berühmt ist wie für die Dim-Sum-Küche, der kleinen meist mit Fleisch, Fisch und Meeresfrüchten gefüllten Klößchen und Häppchen, die in Bambuskörbchen gedämpft oder in Erdnussöl frittiert werden, bevor man ganze Stöße davon auf Trolleys durch weitläufige Dim-Sum-Restaurants von Tisch zu Tisch rollt.
Die Hafenstadt Shanghai gilt gerade in jüngerer Zeit wieder als Feinschmeckermetropole und bietet neben der leichten New-China-Cuisine der großen Hotelrestaurants auch so traditionelle Spezialitäten wie das ursprünglich in Lehm, heute aber in Teig gebackene Bettlerhuhn, die Acht-Schätze-Ente oder „betrunkene“ Hühner und Garnelen an, die vor dem Garen stundenlang in Reiswein mariniert wurden. Auch das Trocknen von Speisen soll hier erfunden worden sein.
Beijing (Peking), die heutige Hauptstadt Chinas, hat in kulinarischer Hinsicht keinen ganz so guten Ruf, liegt sie doch nahe der mongolischen Wüste in einer berüchtigten Kältezone. Viele Gerichte - auch die berühmte PEKING-ENTE, von der vornehme Chinesen nur die besonders cross gebratene Haut in einem mit Hoisin-Sauce bestrichenen Pfannkuchen essen - sind ein Erbe der Mongolen. Eine besondere Spezialität dieser Provinz ist auch der Tianjin-Kohl, der zu Suppe oder auch zu gegrilltem Hammelfleisch gereicht wird.
Die Märkte von Hangzhou, dem „Schlaraffenland am Westsee”, hat schon Marco Polo gepriesen, ebenso wie die vielen Inseln, in deren romantischen Teehäusern man, umringt von Singvögeln und Papageien in bunten Käfigen, Dragon-Well-Tee trinkt und dazu TUNG PO isst, das zarteste Schweinefleisch der Welt, das so lange geschmort wird, bis es die Konsistenz von Sojakäse hat.
Eine der berühmtesten chinesischen Landesküchen ist jene von Sichuan, die wegen der Verwendung des die Lippen betäubenden Bergpfeffers auch als eine der schärfsten der Welt gilt und die sich auch durch reichliche Verwendung von Ingwer und Koriandergrün als recht würzig erweist. Besonders beliebt ist die Ente auf Sichuan-Art, die über Teeblättern geräuchert wird.
Auch Yunnan hat seine Spezialität, nämlich einen der besten Schinken der Welt, der - etwa unter der Marke Xuanwei - als eine Art chinesischer Parmaschinken verkauft wird. In Yunnan liegt auch die etwa 200 km von Kunming entfernte Schwalbenhöhle, in welcher Schwalben aus ganz Südostasien jene Nester bauen, welche die Grundlage der besonders kostspieligen SCHWALBENNESTER-SUPPE bilden.
Sie wird vor allem in der Provinz Chiuchow, der deftigsten aller chinesischen Regionalküchen, in vielerlei Rezepturen, darunter auch einer süßen, verarbeitet. Eine weitere Spezialität der Chiuchow-Küche sind Gänse, deren Fleisch in Gänseblut gekocht wird.
Wer nach Gemeinsamkeiten dieser so verschiedenen Provinzküchen sucht, muss ein wenig Zahlenmagie betreiben. So spielt etwa die Zahl fünf eine nicht unerhebliche Rolle in allen chinesischen Küchen, wo es fünf verschiedene Schneidetechniken, fünf Getreidearten, fünf Fleischsorten, fünf Energien oder das in allen Provinzen beheimatete Fünf- Gewürze-Pulver gibt. Sogar was die stilbildenden Landesküchen betrifft, hat sich aus den unüberschaubar vielen Bewerbern mittlerweile ein Führungs-Quintett herausgebildet: Peking, Kanton, Shanghai, Sichuan und die (von Rotchina unabhängige und daher besonders nationalbewusste) Küche der Taiwan-Chinesen auf der Insel Formosa.