Ein kleiner geschichtlicher Ausflug in die verschiedenen Epochen der Eiszeit
Es gibt viele Möglichkeiten, sich aufs Glatteis der höheren Schleckerei verführen zu lassen. Eine davon hat der Religionsstifter Konfuzius gewählt, der dafür berühmt war, dass er in seinen Kellern Unmengen von Fruchtsorbets zu lagern pflegte. Mit diesen versüßte er seinen Jüngern die Pausen zwischen den philosophischen Gesprächen und hoffte, dadurch ihre Aufmerksamkeit zu erhöhen.
Eis – so war der alte Chinese nämlich überzeugt – erfrischt den Geist und erhöht die Fähigkeit des analytischen Denkens.
Freilich kann man das Eis wie Pablo Picasso auch eher unter einem künstlerischen Aspekt betrachten. Er entwarf seinen berühmten Waffelmann als kubistisches Leckermaul und inspirierte damit wohl auch andere Künstler wie den Op-Art-Künstler Dieter Asmus, dessen Frau mit dem Eisbecher längst zu den Ikonen neuzeitlicher Eisschleckerei zählt.
Ein dritter Zugang zur frostigen Materie ist jener der Meisterköche von Joël Robuchon über Eckart Witzigmann bis hin zu Helmut Österreicher, denen allesamt eines gemeinsam ist: das Wissen, dass eine apart-frostige Dessert-Idee noch allemal das I-Tüpfelchen auf einem Vier-Hauben-Menü sein kann. Kunstvolle Puzzles aus verschiedenen Fruchtsorbets erfreuen das Auge ebenso, wie ein Schuss Grand Marnier im Parfait die Zungenspitze elegant zu kitzeln vermag.
Angesichts von Kreationen wie Sorbet von grünen Teeblättern oder geeister süßer Tomate mit exotischen Aromen scheint es nahezu profan, in Sachen Eis nicht die Könige der Patisserie zu befragen, sondern zunächst einmal das österreichische Lebensmittelbuch, den sogenannten Codex alimentarius. Wenn man darin blättert, muss man allerdings schon ein fanatischer Konfuzianer sein, damit einem angesichts der dort genannten Ingredienzien nicht das Lächeln der Vorfreude auf eisige Genüsse zu einem säuerlichen Grinsen gefriert. Was in Speiseeis und Halbfabrikaten nämlich an Stabilisatoren, Farbstoffen und Emulgatoren enthalten sein darf, liest sich keineswegs wie ein Kochbuch, sondern erinnert vielmehr an das Chemiebuch aus der Oberstufe. Da findet man etwa Zungenbrecher wie Natriumcarboxymethylzellulose oder Natriumalginat und Kaliumalginat. Karrageen und Karrageenate sind ebenso zugelassen wie Pektin und Tragant. Und wer eine Liebe für weithergeholte Zutaten hat, den wird die Beimengung von Guarkernmehl, Guargummi, Karayagummi oder Johannisbrotkernmehl vielleicht sogar erfreuen. Das alles ist – wohlgemerkt – keinesfalls schädlich, aber doch geeignet, die Freude am coolen Genuss der heiteren Sommertage doch ein wenig zu trüben. Doch wer denkt, wenn er vor dem EissalonSchlange steht, um sein kulinarisches Mütchen zu kühlen, schon an den Lebensmittelkodex? Und in Meisterköche setzt man ohnedies – für gewöhnlich übrigens durchaus mit Recht – das Vertrauen, dass sie mit den Magennerven der ihnen anvertrauten Gäste sorgsam umgehen.
Dazu kommt, dass der Österreicher ein noch aus der Donaumonarchie herübergerettetes, ganz besonderes Verhältnis zum Eis hegt, das er vor allem den aus dem Süden in den melting-pot Wien eingewanderten Gastarbeitern verdankt. Insbesonders waren dies ehemalige Bewohner des Zoldo-Tals in den Dolomiten, die sich nach dem allmählichen Aussterben der dortigen Nagelindustrie ein neues Betätigungsfeld in der Donaumetropole suchten und sich mit klingenden Namen wie Torrone, Mango, Gianduia, Amaretto, Kiwi, Stracciatella oder Tartuffo auf das Wiener Eisparkett wagten.
Im Übrigen machen auch nur die allerwenigsten Zungenmit edlen Sorbets, Granités oder elaboriertem Milcheis Bekanntschaft. Der Löwenanteil der heimischen Eisproduktion wird keineswegs von kleinbetrieblichen Eismännern, sondern von der Tiefkühlindustrie unters naschhafte Volk gebracht. Deren Ahnherr stammt freilich weder aus dem alten China noch aus einem verschlafenen italienischen Alpental, sondern aus den USA.Harry Bust hieß der findige Bursche, der zu Beginn der Golden Twenties erstmals auf die Idee kam, ein zylinderförmiges Stück Gefrorenes auf ein Holzstäbchen zu stecken. Der durchschlagende Erfolg dieser Idee beruhte freilich nicht nur darauf, dass sich Busts Erfindung als besonders praktisch erwies, sondern wurde in weiterer Folge vor allem von den Psychologen einer genaueren Analyse unterzogen. Harry Bust hatte nämlich etwas erkannt, das auch den alten Römern und Chinesen bereits aufgefallen war: die unleugbare erotische Komponente des Eisschleckens.
Sie durchwirkt die Kulturgeschichte des Eises wie ein roter Faden. Die Söhne der Sonne beispielsweise pflegten die Konkubinen auf ihren Paradiesinseln nicht selten für ihre zärtlichen Dienste mit eisgekühlten Schleckereien zu entlohnen. Und in den persischen Harems galt das Scherbet – eine Urform unseres Sorbets –als Inbegriff des Aphrodisiakums. Schon lange bevor Sigmund Freud die frühkindlich-orale Phase beschrieb und Harry Bust deren späte phallischen Folgen entdeckte, hatte jedenfalls die vornehme Gesellschaft des Ancien régime in Frankreich auch ohne allen theoretischen Unterbau bemerkt, worauf es ankam: Zur Zeit Marie Antoinettes löffelten die feinen Damen, wenn sie auf ihren Promenaden einmal eine Pause im Café Procope einlegten, bereits köstliche Eisspezialitäten aus dem Becher. Und da sie, wie zeitgenössische Chroniken berichten, dazu neigten, statt des dafür vorgesehenen Löffels die Zunge zu verwenden, war das besagte Café auch ein häufig frequentiertes Ziel der galanten Pariser Männerwelt. Die Mutter Marie Antoinettes, Maria Theresia, war also keineswegs nur von krankhaftem Biedersinn geplagt, als sie ihre Keuschheitskommissionen anwies, auf die Eisschleckerei ihrer Untertanen ein besonders gestrenges Auge zu haben. Schließlich lebte man anno dazumal in einer Zeit, in welcher der alte Aberglaube, dass der Schwanz des Teufels mit süßem Leim überzogen sei, der wie Eis schmecke, noch tief verwurzelt war.
Das Zeitalter der Französischen Revolution ist für die Eisgeschichte jedoch noch aus einem anderen Grund von Bedeutung. Im selben Jahr, als die Bastille gestürmt wurde, entdeckte man nämlich auch die Segnungen der Zuckerrübe, die der Ausbreitung des süßen Lasters weiteren Vorschub leistete. War Eis – bislang nur aus Honig, kandierten Früchten und edelsten Zutaten hergestellt – ein Privileg der Aristokratie und des Großbürgertums gewesen, so wurde es durch die Industrialisierung der Zuckergewinnung schon bald zu einem Vergnügen, das sich jedermann leisten konnte.
Bevor das Eis jedoch endgültig zum Junk Food werden konnte, haben nicht zuletzt die Nouvelle Cuisine und die Biowelle dafür gesorgt, dass auch die eisigen Edelprodukte heute mehr denn je wieder ihren wohlverdienten Stellenwert haben. Nicht zuletzt hat auch ein gestiegenes Qualitätsbewusstsein unter den Konsumenten zu einem Umdenken geführt. Und obwohl sich das farbenfrohe „Eis am Stiel“ ungebrochener Beliebtheit erfreut, findet man mittlerweile selbst in der Tiefkühltruhe des Supermarktes so manches Prestigeprodukt, das nicht nur vor den Augen eines anspruchsvollen Patissiers Gnade finden, sondern auch dem alten Konfuzius durchaus Freude bereiten würde.
Die besten Eis-Rezepte haben wir hier für Sie zusammengestellt.